Die geoutete Generation
Ein Essay von Sanja Döttling und Katrin Wittman
So ziemlich jeder Experte oder auch Laie durfte in der letzten Zeit seine Meinung über den Alkoholkonsum von Jugendlichen kundtun. Nur eine Personengruppe hat sich kaum dazu geäußert: Wir Jugendlichen. Was wäre das für eine Berichterstattung, wenn wir uns selbst nicht die Möglichkeit gäben, unsere Meinung zu äußern?
Maßgeschneiderte Kleider und Standarttänze. Mit der gesamten Verwandtschaft wird auf das bestandene Abitur angestoßen. Doch kaum ist der offizielle Teil des Abiballs vorbei, wird der 4-Euro Wodka von der Tankstelle um die Ecke geköpft. Gesoffen wird bis morgens um fünf, wenn Bekannte und Verwandte der Elite von morgen schon lange selig schlummern.
Wir reden gerne von „den betrunkenen Jugendlichen“, als würden wir sie hin und wieder in Stuttgart am Bahnhof stehen oder auf dem Heimweg im Straßengraben liegen sehen. Wir reden von ihnen, als wären sie eine Bevölkerungsschicht, weit von unserer entfernt. Wir machen uns gerne vor, dass nur „die Anderen“ trinken, die „Ey – alder!“ und die „gibsch mal Handynummer, Schnegge?“-Jugendlichen.
Aber die sind nicht das Problem. Von denen kann man zur Not immer noch sagen, dass sie es nicht besser wissen. Die Problemjugendlichen, das sind wir. Wir, die alles, was über uns in der Zeitung steht, ganz genau wissen und sogar noch mehr. Wir, die unter der Woche für die Schule ackern, um unseren Eins-Komma-Schnitt im Abi zu halten, und trotzdem jeden Freitag eine wahrhaft unglaubliche Wandlung vom braven Schüler zum Absturzkind durchmachen. Wir reden hier nicht von einem Glas Sekt mit Freunden nach der überstandenen Matheklausur, wir reden von gezieltem Abschießen. Und ja, das tun wir. Und nicht nur einmal. Wir können uns hier noch nicht mal als Säufer outen, weil das so wäre, als würden wir uns als hetero outen – es ist schlicht und einfach „normal“. Das, was wir praktizieren, ist ein aufgeklärtes Trinken. Wir trinken, obwohl wir es besser wissen. … weiterlesen
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